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Kaymer vermisst das "normale Leben"
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Kaymer vermisst das "normale Leben"

Martin Kaymer hat sich Notizen gemacht. Er sitzt im ersten Stock des Seehauses im Englischen Garten, draußen heizt die Sonne den Park auf ein neues Jahreshoch, drinnen versucht der Golfer, Hintergründe zu erhellen; über sportlichen Durchschnitt, Entwicklungen als Mensch und Athlet und kulturelle Unterschiede zwischen Europa und den USA. Kaymer ist niemand, der sein Innerstes gerne nach außen kehrt. Es ist nicht immer einfach, an Gesten und Mimik die Motivationen hinter dem Gesagten zu erkennen. Man muss den langen Karriereweg berücksichtigen, den der gerade mal 28-Jährige schon hinter sich hat.

An diesem Tag redet Kaymer erstaunlich offen, umkreist von der deutschen Journaille, die zahlreich gekommen ist, um zu hören, was der, über den im Internet und auf Golfplätzen so viel diskutiert wird, selbst zu sagen hat. Vier Monate war Kaymer nicht mehr in Deutschland, er hat zwei Majors gespielt, den ersten Frühling als US PGA Tour hinter sich und hatte in dieser Zeit wenig Kontakt in die Heimat. Und hier liegt ein großes Problem. Vielleicht hat Kaymer auf beruflicher Mission München noch nie so gerne gesehen wie in dieser Woche. "Ich vermisse das normale Leben, Wäsche waschen zum Beispiel." Er vermisst Deutschland. "Ich beneide Bastian Schweinsteiger, Mario Gomez und Thomas Müller dafür, dass sie abends einfach nach Hause kommen können. Das kann ich nicht." Vier Monate ohne Pause in den USA sei schon hart, es soll nicht mehr vorkommen. "Es ist eben eine ganz andere Kultur dort drüben".

Nach dem Pressetermin, natürlich mit Weißwurst und Brez'n, wollte er mit seinem Bruder aufs Land fahren, "einfach mal in Ruhe Erdbeeren pflücken" bevor er vielleicht noch neun Löcher irgendwo spiele. Simpler Alltag, mit dem er aufgewachsen ist. Und den er in den USA nicht hat. Der ihm fehlt. Wie auch Turniere der European Tour. "Ich fühle mich auf PGA Turnieren nicht so wohl, wie ich es hier in Europa tue", sagt er. Eichenried ist für ihn in dieser Woche noch mehr Höhepunkt als sonst. Auch, weil er erstmals ohne Rücksicht auf Konsequenzen, also vor allem von Sponsorenseite, seine Woche geplant hat.

BMW muss am Dienstagabend ohne ihn auskommen, was auch zu Irritationen führte. Doch der BMW-Markenbotschafter ist der Meinung, dass die vielen Verpflichtungen hinderlich seien in Bezug auf den Erfolg. "Und mein Job ist es, am Ende den Pokal hochzuhalten." Darum gehe es, und das würde die Fans glücklich machen. Im vergangenen Jahr in seiner direkten Heimat in Köln war Kaymer am Cut gescheitert ("Nicht ganz optimale Vorbereitung"). Das soll ihm nicht noch einmal passieren. Seine Worte klingen in erster Linie relativ normal, brodeln aber im Stillen und haben einen gehörigen thematischen Schub. So sagt er: "Ich will endlich mal wieder richtig Spaß auf dem Golfplatz haben."

Das spricht für seine Erwartungen an die BMW International Open in Eichenried - und auch gegen die vergangenen Turnierwochen in den USA. Einerseits ist dieser Wunsch freilich auch den Ergebnissen geschuldet, die zuletzt alles andere als erquicklich waren. Zudem war das Erlebnis Merion Golf Club bei der US Open (Ergebnis: T59) nicht gerade das schönste. "Ich habe noch nie einen Golfplatz erlebt, der so hart war." Er meine nicht die Grüns oder das Rough. Die Kombination aus Setup ("Die Abschlagboxen waren ganz woanders als in den Proberunden"), die daraus entstandenen Winkel der Bahnen und die Positionen der Fahnen hätten ihm einiges abverlangt.

Mit dem Spiel war er dabei sogar ganz zufrieden. "Ich habe zu Craig [Caddie Craig Connelly, d. Red.] gemeint, 'war doch gut mein Spiel, oder?'", erzählt Kaymer. Nur das Putten machte ihm, wie auch schon beim Masters in Augusta, die Karte bunter als erhofft. Zudem die Löcher 5, 6 und 7, die ihm in den Major-Tagen große Probleme bereiteten. "Da fragst du dich auch, was ist da los, warum ist das so?" Die Antwort hat er nicht wirklich gefunden. Er braucht sie auch nicht. Ab Mittwoch spielt er in Eichenried, ein Kurs, der so ganz anders ist.

"Da kannst du auf jede Fahne gehen. Und Fehler werden nicht so hart bestraft." Darauf freut er sich. Und auf die Fans. Diesen Zusatz vergisst keiner der deutschen Golfer, die es nicht jede Woche haben, als Publikumslieblinge über den Kurs zu gehen. Schon gar nicht Kaymer, der als Europäer in den USA seine Runden deutlich ruhiger absolvieren kann als die US-Kollegen.

Nun geht es erstmal wieder in den Trubel. Kaymer ist weiterhin erster Publikumsmagnet, die Nummer eins im deutschen Golf. Das will er endlich auch wieder sportlich beweisen. "Ich kann inzwischen jeden Schlag spielen, das war früher nicht so. Jetzt muss sich das Puzzle nur noch zusammenfügen." Geduldig müsse er sein, auch wenn er selbst "doch der Ungeduldigste von allen ist". Diese Aussage ist ihm wichtig an diesem Tag: Leute, ich bin doch auch nicht zufrieden. "Aber Golf ist kein Sport, in dem ich einfach mal jemand umhauen kann, wenn es nicht so läuft." Man könne nichts erzwingen.

So hofft er, dass in dieser Woche wieder einiges mehr zusammenfindet. Die Vorbereitung hat er sich so gut wie möglich zurechtgelegt, der Rest ist auf dem Platz. Zum 20. Jubiläum war er der erste deutsche Sieger des Turniers. Fünf Jahre später soll es erneut soweit sein. Es wäre ein schönes Jubiläumsgeschenk an die deutschen Fans. Aber vor allem auch an seine strapazierte Sportlerseele.

Nach gut einer Stunde hat Kaymer ausgeredet. Seine Notizen hat er nicht gebraucht.

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